Montag, 13. Juni 2011

Der Fussballstar als Sachbearbeiter: Zur 'Amerikanisierung' des Fussballs

Die Fussballsoziologie hat lange essentialistisch verbrämt behauptet, dass Sport der einzige Bereich moderner Massenkultur sei, in dem Amerika nicht führe. Denn in Amerika werde doch American Football, Basketball und Baseball gespielt, etwas Hockey noch, aber nicht Fussball. Auch die Tatsache, dass Fussball schon lange der meistgespielte Sport Amerikas ist, hat daran kaum was geändert. Schliesslich kucke kaum jemand Fussball in Amerika, es sei dort eben kein Zuschauersport. Die Sportsoziologie schielte auf die einzelne Sportart, statt auf die gesellschaftsspezifische Struktur sportlicher Praxis.
Dann kam Klinsmann.
Seit er gegen heftige Widerstände der Boulevardpresse (aber auch sich als Fussballexperten gerierender Intellektueller) die deutsche Fussballnationalmannschaft ins 21. Jahrhundert führte, ist in der fussballsoziologischen Diskussion immer wieder von amerikanischen Trainingsmethoden aus Basketball oder American Football zu lesen. Irgendwie sind die Amis hier fortschrittlicher, gestehen die europäischen Sportsoziologen nun ein.
Heute fällt beim Fussballkucken vor allem auf, dass der FC Barcelona 'irgendwie anders' spielt als andere Teams. Der Journalist Cordt Schnibben hat sich in einem sehr lesenswerten Artikel mit dem "Barça-Code" befasst. Der generelle Hinweis auf Einflüsse aus Basketball und American Football, ebenso wie Handball und anderen Sportarten, bleibt nicht aus. Viel interessanter ist aber, dass das Passmuster, das alle Pässe eines Barcelona-Spiels als Linie dargestellt zusammen ergeben, stets dasselbe ist. Bis auf kurze Ausbrüche gleicht ein Barcelona-Spiel dem Andern wie zwei Eier. Nicht der einzelne Spieler ist hier, wie Johan Cruyff forderte, "eine Maschine zur Produktion von Fussball", sondern die ganze Mannschaft. Schnibben sieht hier Planwirtschaft am Werk, Barcelona trägt schliesslich das label 'links', folglich kommunistische Planwirtschaft. Aber das Modell dieser Mannschaft ist vielmehr die industrial corporation, Barcelonas Fussball ist schlicht und einfach kapitalistisch.
Im gesellschaftshistorischen Vergleich der Sportler und ihrer spielerische Praxis wird dies deutlich. Denn die von Cruyff angestrebte und im FC Barcelona nun perfektionierte Disziplinierung der einzelnen Spieler im Dienste der Mannschaft ist keine neue Erfindung. Sie wird schon von Walter Camp, dem Vater des American Football, seinem bekanntesten Trainer, Spieler und 'Miterfinder', gefordert. Bereits um 1900 begriff er seine Spieler als Mitarbeiter einer industrial corporation, als eine "rationalized, bureaucratic, specialized work force". Die amerikanischen sportsmen und ihre spielerische Praxis sind eben auch hier Vorreiter, selbst im scheinbar 'unamerikanischen' Fussball. Denn unabhängig von der spezifischen Sportart bildete sich in Amerika bereits um 1900 jener Typus des sportsman heraus, der heute weltweit Verbreitung findet (s. hierzu Truninger, 74ff. und 116ff.).

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