Freitag, 1. Juli 2011

Seekrank über den Atlantik: Freud auf Englisch

Beim Versuch Studierenden in der Türkei die Grundlagen der Psychoanalyse zu vermitteln, bin ich auf unerwartete Schwierigkeiten gestossen. Der englische Text von "Das Unbehagen in der Kultur" ist bereits im Titel abgeschwächt: "Civilization and its Discontents". Unzufriedenheiten und Unbehagen sind schon ein ziemlicher Unterschied. Jetzt ist mir klar, warum Löwenthal sich mit 'Malaise' behalf. Aber damit nicht genug. Wenn Es mit "id", Ich mit "Ego" und Über-Ich mit "Super-Ego" übersetzt wird, dann ändert die Psychoanalyse ihren Charakter. Durch die lateinische Übersetzung werden die psychoanalytischen Begriffe in eine distanzierte, wissenschaftliche Sphäre gehoben, ihr alltagssprachlicher Ursprung wird verleugnet und die Begriffe von alltäglicher Erfahrung abgeschnitten. Wir sagen ja "Es hat mich überkommen", oder "Es hat mich getrieben", nicht "id hat mich überkommen". Wir sagen "Ich liebe dich", nicht "Ego liebe dich" oder gar "Ego liebt dich", was dann schon an Robotersprache erinnert. Genausowenig hat das Über-Ich mit Superman zu tun, mit dem "Super-Ego" doch unweigerlich assoziiert wird. Vor diesem Hintergrund gewinnt dann auch die Übersetzung von Trieb mit "instinct" nochmal eine andere Bedeutung, jenseits dessen, das sie kreuzfalsch ist. Hier, genau wie mit "id, ego, super-ego" geht es letztlich darum, die Psychoanalyse zu entschärfen. Diese Begriffe bewegen sich in der gleichen Sphäre wie physikalische Weltbeschreibungen, sie sind Hilfskonstruktionen von Wissenschaftlern, verschrobenen Köpfen, die nach gängiger Meinung im normalen Leben nicht zurechtkommen. Indem die Psychoanalyse in diese Sphäre gerückt wird, erscheint sie bloss noch als interessante Theorie, mit dem Alltag jedes Einzelnen, an den sie doch gerade anknüpft und aus dem sie ihre Kraft zieht, hat sie nichts mehr zu tun.

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