Sonntag, 9. Oktober 2011

Unrealistischer Realismus

James Woods Buch "How Fiction Works" ist dieses Jahr auch auf Deutsch erschienen. Der Autor ist Professor in Harvard und vor allem Literaturkritiker für den New Yorker. Vor allem in letzterer Funktion wird er als der wichtigste lebende Literaturkritiker propagiert und sein Einfluss gerade auf jüngere Schriftsteller scheint immens. So hat die Autorin Zadie Smith, nachdem er ihren Stil als "hysterischen Realismus" bezeichnete, öffentlich Besserung gelobt, sie wolle sich in Zukunft eines anderen Stils bemühen. Auch andere Autoren orientieren sich nach eigener Aussage sehr an James Woods Kritiken (Zum Einfluss von Wood).
In seinem Buch "How Fiction Works" legt er dar, wie Literatur zu sein habe. Seine Lehre beruht vor allem auf zwei Punkten:
1. Statt Ich-Erzähler, besser dritte Perspektive, diese aber ironisierend
2. starke, runde Charaktere

Die Begründung dieser Forderungen kommt allerdings ohne jeglichen Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse und somit auch die historische Konstituierung der Subjekte aus. Sonst würde sich die Frage stellen, ob starke, runde Charaktere heute noch realistisch sind. Gerade dem Rückbezug auf die Gesellschaft müsste Wood sich aber stellen, ist diejenige Literatur, die von ihm das Prädikat 'gut' erhält, doch gerade die realistische Literatur des 19. Jahrhunderts, bzw. modernere Werke, die sich daran orientieren.
Literatur muss sicherlich nicht 'realistisch' sein, es gibt viele andere Möglichkeiten literarischer Produktion. Aber was Wood als Realismus propagiert, ist ein 'Un-Realismus', indem so getan werden soll, als ob das bürgerliche Individuum heute noch existiere. Ein Realismus dessen Rückbindung eine rein ästhetizistische ist, ist kein Realismus mehr.
Und so ist der deutsche Titel seines Buches ("Die Kunst des Erzählens") anders als in deutschen Feuilletons bei jeder Besprechung seines Buches wiederholt, tatsächlich zutreffender als der zweideutige englische: How Fiction Works.
Dass sein Buch in Deutschland bisher in keiner Tageszeitung eine negative Kritik erhalten hat, sondern vielmehr hochgelobt wird, ihm für die Ehrenrettung des Realismus gedankt wird, ist auch ein Indiz für den Zustand des deutschen Literaturbetriebs: Wenn die Krise kommt, ist kritische Literatur nicht gefragt. Zurück ins 19. Jahrhundert als die Welt noch in Ordnung war.

Weiterführende Kritik an Wood findet sich hier:
und hier:

Detlev Claussen über die Dialektik der Aufklärung

Im Schweizer Radio DRS 2 diskutiert DC in der Reihe "Denkstoffe - Aufstieg und Fall großer Theorien"  über die Bedeutung der Dialektik der Aufklärung. Hier geht's direkt zum Audiobeitrag.

Freitag, 7. Oktober 2011

Gedächtnisprobleme der Nation

Guido Knopp und das ZDF präsentieren auf einer Internetseite das sogenannte "Gedächtnis der Nation" - Interviews und kleine Geschichtsfilmchen, im typischen ZDF-Stil. Der Artikel Geschichte schreiben im Jahrhundertbus im Freitag erläutert den Hintergrund. In der Rubrik "Jahrhundertzeugen" findet sich ein langes Interview mit dem Kulturwissenschaftler (!) Herbert Marcuse, der nach ZDF-Informationen 1997 (!) gestorben ist, als einziger Kritischer Theoretiker in den USA blieb (!) und es in Deutschland nie lange aushielt (!). Vielleicht wäre "Vorurteile der Nation" ein besserer Titel für dieses dämliche Projekt gewesen. Das Video von Marcuse aber lohnt sich trotzdem.


Donnerstag, 6. Oktober 2011

Occupy Wall Street

Jon Stuart in der Daily-Show zu den "Occupy Wall Street"-Protesten. Die Kommentare von Fox-News sind, wie immer, unfassbar.

Dienstag, 4. Oktober 2011

Ideologie heute?

In der neuen Online-FAZ schreibt Dietmar Dath einen netten Artikel über den Ideologiebegriff.
"Wenn also jemand, sagt Engels, gegen Microsoft oder Bertelsmann bloggt, die Piratenpartei wählt oder ihr beitritt, weil Information frei sein soll oder das digitale Zeitalter neue Formen von Arbeit erlaubt oder aus sonst einem abstrakten Grund, und dabei nicht sehen oder artikulieren kann, welche Art eigener Praxis - als überausgebildetes, gegenüber den eigenen Eltern jämmerlich unterversichertes, ohne Tarifdruckmittel auf dem Zeitvertrags-Markt unverstandenen Gezeitenkräften ausgeliefertes Würstchen - diese schönen Ideale so plausibel macht, dann liegt Ideologie vor. Das gilt selbst und gerade dann, wenn diese Ideologie sich 'kritisch' vorkommt."